Geschichte Zeittafel Hochwasser
 
 
H.-Jo. Mellies
Durch die Vereinigung beider Teile Deutschlands nahm in Dessau, wie auch in anderen Regionen unseres Landes, das Vereinswesen einen neuen Aufschwung. Die bis 1945 existierenden Traditionsvereine, wie auch unsere Dessauer Schützengilde, erlebten eine Neu- bzw. Wiedergründung. Gerechterweise möchte ich jedoch erwähnen, dass es auch in der DDR schiesssportliche Vereinigungen unter der Schirmherrschaft der Gesellschaft für Sport und Technik gab. Hier konnten schiesswillige Jugendliche unter sportlichem Aspekt im bescheidenen Umfang ihrem Hobby frönen. Von Traditionspflege in geschichtlicher Hinsicht konnte hierbei jedoch nicht die Rede sein. Leider verlassen uns die Quellen, wenn wir uns heute bemühen, eine Geschichte der Dessauer Schützen zu schreiben. Nur bruchstückhaft existierten Informationen für die Zeit seit derjahrhundertwende. Zeitzeugen leben kaum noch. Durch die Zeit der Besatzung nach 1945 und den bekannten SMAD Befehlen vernichteten viele ehemalige Mietglieder von Schützenvereinigung etwaige Dokumente und Waffen. Die Angst war stärker als das Geschichtsbewusstsein. Ging es doch in erster Linie um die Sicherheit und Existenz der eigenen Familie in einer Zeit als das Denunziantentum blühte!
Wenn wir uns der älteren Geschichte zuwenden, hebt sich der Vorhang der Geschichte schon etwas höher. Historische Chroniken geben uns Auskunft zur Geschichte der Dessauer Schützen seit dem 16. Jahrhundert. So erfahren wir, dass unter der Herrschaft des Fürsten Joachim Ernst am 3. September 1581 ein Vogelschiessen in Dessau stattfand, wobei "kostbare" Gewinne ausgesetzt waren, auswärtige Adelige sowie Leute des Bürgerstandes eingeladen waren, "um solch nachbarlich kurzweilig Schiessen in Freuden helfen anfangen und vollendeten", wie die Worte in dem unter dem 7. August 1581 publizierten Patent heißen. Auch wenn heute das Alter der Dessauer Schützenvereinigungen nicht mehr konkret bestimmt werden kann, gibt uns die Chronik von Würdig zumindest einige Hinweise. So wird in einem den Dessauer Schützen durch Fürst Johann Kasimir im Jahre 1619 verliehenem Privilegium, das Scheiben- und Vogelschiessen zu Dessau schon ein "uraltes" genannt. Leider sind diese Privilegien-Urkunden zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr vorhanden.
Weiter berichtet der Chronist, über ein aufgefundenes, wurmstichiges Aktenstück vom Jahre 1560; eine Einladung der Hallenser Schützen an die Dessauer Schützen zu dem damals in Halle stattfindenden Büchsen- und Armbrustschiessen:
"am Tage Mauritius, welcher ist der 28. September".
Und weiter heisst es in dieser Einladung:
"die Weite vom Stand bis zur Scheibe ist 330 (7) Ellen; der beste Gewinn für die Armbrustschiesser ist 200 gute ganze Taler, bei dem Büchsenschiessen aber 60 Taler.'
Daneben war die Grösse des Zirkelblattes neben dem Loche, da die Kugeln und Böltze (Bolzen) durchfallen sollen, genau angegeben. Von einem Jungfrauen-Ausschiessen, wie es 1571 in Magdeburg stattgefunden haben soll, wobei eine schöne Jungfrau der Preis für den besten Armbrust- und Bogenschützen war, wissen wir in Dessau leider nichts. Genannter Fürst Johann Kasimir war den Bogen- und Büchsenschützen in Dessau sehr zugetan, denn nicht nur dass er der Gesellschaft eine "Ordnung" verlieh, auch ihr zur Erbauung eines neuen "Schiesshauses" und einer neuen Vogelstange das Bauholz aus seinen Forsten zu nehmen gestattete und das Schiesshaus mit dem Privilegium ausstattet, 20 Fass Zerbster Bier ohne jegliche Verpflichtungen auszuschenken. Hierbei muss gesagt werden, dass man es schon damals sehr genau mit der Verteilung entsprechender Konzessionen nahm. Es ist jedoch auch bekannt, daß der Fürst sich selbst oft das Vergnügen gönnte, die Einhaltung dieses Privilegiums zu überprüfen und einer guten Kanne Bier nicht "abhold" war. So wissen wir auch, daß er auf einem Schießen am 30. August 1690 das Prädikat "Schützenkönig" annahm und auf einem anderen Schützenfest "als den Mittwoch und Donnerstag nach Pfingsten 1628" dem Vogel den Kopf abschoß. Außerdem verlieh er den Schützen eine neue Schießordnung und in den zu Zeiten des Chronisten noch vorhandenen Ratsakten stand, daß der Rat verpflichtet war: "den Schützen alljährlich zu dem Pfingstschießen mit 8 Taler. beizustehen". Aus heutiger Sicht erscheinen uns diese Mitteilungen etwas merkwürdig, da man doch weiß, daß eben zu dieser Zeit auch in den anhaltischen landen der 30-jährige Krieg hauste. Aus alten Rechnungsunterlagen erfahren wir, daß beim Pfingstschießen 1623 anstatt des Geldes "vergüldete Becherlein" mit einem Gewicht von 13 Loth und 2 Quent ausgeschossen wurden, wovon genannter Fürst Johann Kasimir wieder ein "Gewinner" war. Ebenfalls wurde bei diesem Schießen eine neue (nicht näher beschriebene) Fahne präsentiert.
Durch den hereinbrechenden Krieg kam es zeitweilig zu einer Unterbrechung der Existenz der Schützengesellschaft.
Das Schießen verfiel von Jahr zu Jahr und die Vereinigung konnte zuletzt nur noch mit einem Mitglied, Herrn Landrentmeister Bernhard Herre, aufwarten. Die jedoch dann kommenden Tage des Friedens waren für die Schützenvereinigung wieder günstiger. Genannter Bernhard Herre verband sich 1675 mit verschiedenen fürstlichen Dienern und anderen Personen des Rates und der Bürgerschaft und bat bei dem damals regierenden Fürsten Johann Georg II. um Genehmigung, die Schützen-gesellschaft wieder errichten zu dürfen. Der Fürst genehmigte die Bitte und erteilte die Erlaubnis zum Bau eines neuen Schützenhauses "auf dem Anger bei Dessau", zu dessen Aufbau er auch noch das nötige Holz spendete. Das alte, eben an dieser Stelle gestandene Schützenhaus war durch Kriegstrubel "verödet und verfallen".
Ebenso wurde das bestehende Privilegium durch ihn bestätigt. Am dritten Pfingstfeiertag 1676 wurde das neue Schützenhaus, das sogenannte "Sturmsche Haus" auf dem Anger (es brannte 1873 ab) mit einem Scheibenschießen eingeweiht, zu welchem der Fürst der Gesellschaft einen silbernen Becher schenkte, der, mit den Namen der Schützenkönige versehen, noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Schützengesellschaft aufbewahrt wurde. Das schon erwähnte Schützenprivilegium des Fürsten Johann Georg ist datiert vom 6. Mai 1675. Hieraus möchte ich dem verehrten Leser einige Auszüge präsentieren: "... dieweil dieses Exerzitium zu keinerlei Üppigkeit angesehen, so soll ein Jeder, welcher in diese Schützengesellschaft gehörig oder sonstens mitschießt, er sei ein Fremder oder Einheimischer, mit allem Ernst hier mit gewarnt, sich nicht allein beim Schießen in dem Hause und auf dem Stande, wie auf dem Schützenhof, sondern auch bei allen den angestellten Convivien und Kranzessen alles Fluchens, Gotteslästerns, schandbaren Worte, unhöflichen Singens und unzüchtiger Reden und Taten enthalten, hingegen aber sich friedlich, sittsam, höflich und bescheiden betragen und auch Niemandem zu Zanken Ursache und Anlaß geben.
Insbesondere soll auch das lüderliche Schelm- und andere Schelten, wie auch das gottvergessene "beim Teufel holen" ganz verboten sein; Gestalt denn Derjenige, der mehr aus übler Gewohnheit und Trunksucht, als aus einem bösen Vorsatze sich des Scheltens, Fluchens oder Teufelsholens und andere böse Schwüre gebrauchen, sollte jedes mal der Gesellschaft mit 6 Gr. Strafe verfallen sein.
Im Fall aber dies Schelten und Fluchen aus Bosheit und bei erregter Zänkerei geschieht, soll er dies mit 12 Gr. büßen. Unterläßt er es noch nicht, soll er 5 Taler bezahlen und seiner Büchse verlustig sein." Gleich seinem Vater war auch Fürst Leopold (der "Alte Dessauer") ein Freund und Förderer der Schützen.
Er bestätigte die alte Ordnung und der Schützen sonstige Freiheiten in allen Punkte. Weiterhin bewilligte er ihnen eine Braugenehmigung und verordnete auch, daß zu den allwöchentlichen Schießübungen einige seiner Förster, Diener und Vertreter der städtischen Innungen erscheinen mußten. Als Pächter des Schützenhauses wird im Jahr 1702 Salomon Schließer genannt; 1739 Johann Petersen. Aus dem damals angefertigten Schützenhaus-Inventarium kennen wir u.a.: 23 altmodische Krüge, darunter 12 mit Zinnboden, Beschlägen und Deckeln. Weiterhin: ein zinnernes Maß und Nößel, ein Zirkel, Ein Zieler, eine Schrotleiter, mit weichet die Bierfässer in das Haus transportiert werden; eine Leine, vom Schießhause bis an die Schießmauer reichend. Weiterhin heißt es: der Garten ist mit einer eichenen Bohlenwand umgeben, unterbrochen von einer Tür mit Haften, Banden, Schloß und Riegeln etc. ... So erfahren wir weiterhin, daß 1760 der ehemalige Ratskellerwirt Gottfried Ludwig Schlegel das Schießhaus von der Schützengesellschaft für 400 Taler abkaufte, woraus zu entnehmen ist, daß die Schützengesellschaft zu dieser Zeit Eigentümer des Gebäudes war. Von genanntem Schlegel kaufte das Schießhaus nebst dem Garten 1755 der Kammerdiener Groschepp aus Ouerfurt für 571 Taler. Von diesem wiederum der Gärtner Friedrich Frenzel für 600 Taler. 1779 kaufte es von diesem der Jäger Wolter für 2.000 Taler. (!). Von Wolter kam das Schießhaus an seinen Schwiegersohn Richter. Diesem wurde das Schankprivilegium mit dem Zusatz erneuert:
"kein lüderliches Gesindel zu setzen, nicht unter der Predigt oder bei nachtschlafender Zeit Gäste zu dulden und die Getränke nicht zu verfälschen und zu überteuern." Von Richter kaufte 1834 der Bediente W. Sturm das Schießhaus. Über die Geschichte der Schützen und des Schiesshauses während der Regierung des Herzogs Leopold Friedrich Franz liegen uns leider keine Informationen vor. Hingegen kann berichtet werden, dass die uniformierte Schützengesellschaft am 1. Oktober 1817, dem Geburtstag des Herzogs Leopold Friedrich durch einen Aufzug und ein Vogelschiessen festlich beging. Als nächsten Anlass kennen wir den 1. Mai 1818, den Einzug des frisch vermählten Fürstenpaares, der von Seiten der Schützengesellschaft mit einer Parade und einem Vogelschiessen (am 30. September und 1. Oktober) gewürdigt wurde. Das alte Schiesshaus auf dem Anger (in Höhe des heutigen Friederikenbades) verfiel auf Grund seines Alters und der sicher nicht für Jahrhunderte konzipierten Bauweise zusehends. 1838 wurde im heutigen "Vorderen Tiergarten" eine neue Heimstätte für die Schützen errichtet. Diese Anlage ist vielen alten Dessauern aus eigenem Erleben oder zeitgenössischen Fotografien noch recht gut in Erinnerung. 1846 erreichte die Schützengesellschaftung durch eine seinerzeit zeitgemässen Reorganisation und Neu-Uniformierung ihren vorläufigen Höhepunkt. 1847 trat der Anhaltische Schützenbund ins Leben, wonach alljährlich abwechselnd in Dessau, Zerbst, Köthen und Bernburg ein gemeinsames Schützenfest gefeiert wurde. Hierzu kann man erfreulicherweise bemerken, dass in diesem Jahr (1994) der Anhaltische Traditionsschützenbund mit der historischen Zielstellung wiedergegründet wurde. Über die Aufgaben, Ziele und Arbeitsweisen der Dessauer Schützengesellschaft ab 1848 gibt ein im vollen Umfang erhaltenes "Privilegium' Auskunft, welches uns freundlicherweise als Kopie vom Dessauer Stadtarchiv zur Verfügung gestellt wurde. Ab dem 23. Januar 1851 übernahm Herzog Leopold Friedrich das Protektorat über die hiesige Schützengilde, was zur Folge hatte, dass danach jeder Vorsteher (Vorsitzende) der Bestätigung des Herzogs bedurfte und jeder Schütze dem Herzog und seinem Hause durch Handschlag an den Vorstand Treue geloben musste. Schützen im Jahre 1848 verehrt und empfing am 23. Mai die kirchliche Weihe. Alljährlich, am 18. Juli, dem Geburtstag des Erbprinzen Leopold, feierte man das große Schützenfest mit Vogelschiessen. Dieses Fest hatte sich bis 1945 zu einem wahren Volksfest entwickelt. Zu berichten wäre noch, dass die Schützenfeste, die traditionell im heutigen "Vorderen Tiergarten' stattfanden, des öfteren vom Hochwasser überrascht wurden. Hierzu möchte ich Bernhard Heese aus seiner 1925 erschienen Dessauer Chronik zitieren: Das Hochwasser 1907: "Das denkwürdigste an dieser Überschwemmung ist, dass sie drei Tage lang das ganze Dessauer Schützenfest unter Wasser setzte.
Die Hochwasserwelle kam so plötzlich, dass die Budeninhaber gar nicht imstande waren, ihre Waren in Sicherheit zu bringen. Sie mussten sich darauf beschränken, sie auf Tischen und Regalen hochzustellen und die Planen zu öffnen, um dem Wasser feien Durchgang zu verschaffen und die Buden vor dem Fortschwimmen zu bewahren.
Nachdem sich dann das Wasser verlaufen hatte, wurde das Schützenfest weiter gefeiert, aber auf sehr feuchtem, schlammigen Boden." Leider erschöpfen sich unsere Quellen damit. Aus diesem Grunde eine obligatorische Bitte an die verehrten Leser: Unsere Schützengilde ist stets auf der Suche nach Traditionsmaterial, d.h. Aussagen von Zeitzeugen (oder Nachkommen) über die Gilde, Zeitdokumente, Urkunden, Fotos, Postkarten, Orden, Medaillen und natürlich Aussagen oder Fotos zum Aussehen des Signets, der Fahne etc. Für sachdienliche Hinweise sind wir jederzeit dankbar.
Quellennachweis: - Die Dessauer Chronik / B. Heese, 1924/25; Dessau / Selbstverlag - Chronik der Stadt Dessau / Ludwig Würdig; Dessau, 1887
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